Warum Marketing, Mar- und AdTech ihre Optionen überdenken sollten
Bisher habe ich die Architektur moderner Daten- und Marketingstrategien – von der Bedeutung emotionaler Daten für Kundenbindung über solide Data-Governance-Strukturen bis hin zu Customer Centricity und Loyalitätsmechanismen – in den Mittelpunkt gestellt. Im Kern es mir um die Verbindung von Technologie, Transparenz und Vertrauen.
Diese Grundlinie bleibt gültig. Sie erhält jedoch neue Facetten, wenn man die Veränderungen im internationalen Umfeld betrachtet. Denn politische Entwicklungen jenseits des Atlantiks werfen die Frage auf, wie belastbar europäische Abhängigkeiten von US-Anbietern im Marketing- und AdTech-Segment langfristig sind.
Politische Risiken – ernst, aber nicht unmittelbar disruptiv
Ein fortgesetzter, oder eventuell sich weiter verstärkender politischer Kurs in den Vereinigten Staaten könnte den Rahmen für den Einsatz amerikanischer Technologien verändern. Doch statt vorschnell von einer Zäsur auszugehen, erscheint eine nüchterne Bewertung angebracht: Die großen Plattformanbieter sind global aktiv, stehen unter vielfältiger Regulierung und reagieren sensibel auf wirtschaftlichen Druck. Ein abrupter Bruch mit bestehenden Systemen ist daher nicht zu erwarten.
Schon heute ist das Vertrauen von Konsumenten ein knapper Rohstoff. Personalisierte Werbung wird akzeptiert, solange Transparenz herrscht und Daten nachvollziehbar genutzt werden. Politische Unsicherheiten im Heimatland der Tech Vendoren können Zweifel verstärken – sie müssen jedoch nicht zwangsläufig in Ablehnung münden. Unternehmen können durch klares Consent-Management, transparente Kommunikation und bewährte Verfahren wie Pseudonymisierung oder Anonymisierung Vertrauen stabilisieren.
Bitkom, BVDW und andere Verbände verweisen darauf, dass datenschutzfreundliche Technologien längst verfügbar sind. Verfahren wie föderiertes Lernen oder k-Anonymität sind zwar kein Allheilmittel, doch sie mindern Risiken erheblich und haben Eingang in Praxis und Regulierung gefunden.
Europäische Alternativen als Ergänzung, nicht als Ersatz über Nacht
Zunehmend entstehen CDPs und Marketingplattformen aus Europa, die First- und Zero-Party-Daten in den Mittelpunkt stellen. Sie bieten Chancen, Abhängigkeiten zu reduzieren. Doch sie ersetzen die etablierten Systeme nicht kurzfristig, sondern erweitern die Optionen. Realistisch ist daher eine Strategie der Diversifizierung – Schritt für Schritt, flankiert von Investitionen und Standards.
Europa hat mit DSGVO, Data Act und AI Act einen Rahmen geschaffen, der den Datenschutz stärkt und die ethische Nutzung neuer Technologien fördert. Anpassungen an geopolitische Veränderungen erfolgen jedoch graduell. Parallel zeigt der OVK-Report, dass das digitale Werbeökosystem auf Wachstumskurs bleibt und verantwortungsvolle Mediennutzung zunehmend als Leitlinie gilt.
Digitales Marketing ist ein tragender Pfeiler der deutschen Wirtschaft: Über 300.000 Beschäftigte, mehr als 22 Milliarden Euro Wertschöpfung und messbarer Einfluss auf Konsum und Innovation. Ein abruptes „Entkoppeln“ von US-Technologien würde erhebliche Kosten verursachen. Sinnvoller erscheint, Abhängigkeiten zu identifizieren und mittelfristig Alternativen zu entwickeln.
Statt eines „Weckrufs“ zeigt sich eher ein Signal: Europäische Unternehmen sollten ihre digitale Unabhängigkeit nüchtern prüfen, technische und organisatorische Resilienz aufbauen und die Abhängigkeit von einzelnen Märkten begrenzen. Vertrauen, Transparenz und Werteorientierung bleiben dabei entscheidend.
Die Erosion demokratischer Standards in Partnerländern mag Risiken bergen – doch sie erzwingt keine überstürzten Schritte. Wer rechtzeitig diversifiziert und europäische Optionen einbindet, stärkt nicht nur seine Handlungsfähigkeit, sondern bewahrt auch das Vertrauen der Kunden. Dieses Vertrauen ist in einer fragmentierten, von Unsicherheit geprägten digitalen Welt die tragfähigste Grundlage für künftiges Wachstum.